Jahrestreffen 2022 des Netzwerks Jungen- und Männergesundheit

Das Netzwerktreffen fand vom 16. bis 17. September 2022 in Berlin statt und es versammelten sich 20 Netzwerkmitglieder, Fachleute und Interessierte.

Am Freitagabend konnte vor Beginn des Netzwerktreffens ein Hintergrundgespräch mit Boris Velter, dem Leiter der Leitungsabteilung im Bundeministerium für Gesundheit und Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG) und Vertreterinnen und Vertretern des Netzwerks arrangiert werden, das im Hauptstadtbüro der Techniker Krankenkasse stattfand. Hintergrund war dieser Passus im Koalitionsvertrag zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP: „Wir berücksichtigen geschlechtsbezogene Unterschiede in der Versorgung, bei Gesundheitsförderung und Prävention und in der Forschung und bauen Diskriminierungen und Zugangsbarrieren ab. Die Gendermedizin wird Teil des Medizinstudiums, der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe werden.“ Neben dem gegenseitigen Kennenlernen war es Ziel des Gesprächs, auf Forderungen des Netzwerks (siehe Forderung nach einer Männergesundheitsstrategie) hinzuweisen, die mit dem im Koalitionsvertrag formulierten Vorhaben im Einklang stehen, und auszuloten, wie diese besser an politischen Entscheidungsträger vermittelt werden können.

Am Abend folgte der offizielle Beginn des Netzwerkstreffens bei einem gemeinsamen Abendessen mit Gelegenheit für Austausch und Kennenlernen.

Das inhaltliche Programm des Netzwerktreffens startete am Sonnabend im Rathaus Charlottenburg. Nach einer Kennenlernrunde der Teilnehmenden gab Gunter Neubauer vom Sozialwissenschaftlichen Institut Tübingen (SOWIT) einen Rückblick auf die Netzwerkaktivitäten in der Zeit seit dem letzten Netzwerktreffen im Herbst 2019 in Nürnberg. Das waren u.a.:

  • das Online-Treffen zum 15-jährigen Netzwerkjubiläum am 6. November 2020
  • eine Korrespondenz mit Vorstand der Bundestagsfraktion und Bundesvorstand BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (06/2021) als Reaktion auf die Antwort der Bundestagsfraktion auf die Umfrage von gesund.men zur Einschätzung, wie die Ungleichheit in der Lebenserwartung reduziert werden könne, und ob BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN ein konkretes Ziel in Bezug auf die Lebenserwartung von Männern und Frauen habe
  • zwei Workshops zur Vernetzung „männergesunder“ Kommunen
  • die Vorbereitung und Veröffentlichung des Männergesundheitsmanifests 2021 mit der Forderung nach einer Männergesundheitsstrategie für Deutschland
  • die Beteiligung an den Kampagnen und Veranstaltungen zum Tag der ungleichen Lebenserwartung 2020 und 2021
  • die Unterstützung einer Beteiligung des Bundesforum Männer am Worldwide Day of Genital Autonomy (WWDOGA)
  • die Pflege des Online-Auftritts des Netzwerks: https://netzwerkmaennergesundheit.wordpress.com/

Für den Vormittag waren eine Reihe von Projektpräsentationen geplant.

Den Start machte Prof. Kurt Miller, Vorstandsmitglied der Stiftung Männergesundheit, der erste Ergebnisse des im November 2022 erscheinenden Jungengesundheitsberichts der Stiftung präsentierte. Für diesen Bericht wurden in einer eigenen Studie 3.000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 28 Jahren befragt. Ziel war es, Informationen über das körperliche, psychische und soziale Wohlbefinden, das Gesundheitsverhalten und das soziale Umfeld von jungen Männern im Vergleich zu jungen Frauen zu erhalten.

Im Anschluss präsentierte Cora Spahn von der Universität Leipzig das Projekt MEN-ACCESS,, ein Projekt zur Suizidprävention für Männer, das in drei Teilprojekten in einem Forschungsverbund aus Universität Leipzig, der Medical School Berlin und der Universität Bielefeld bearbeitet wird. Im Fokus stand das erste Arbeitspaket des Teilprojekts der Universität Leipzig, Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie. Hier wurden qualitative Interviews mit Männern durchgeführt, die einen Suizidversuch unternommen hatten. Themen der Interviews waren, neben soziodemografischen Angaben, die Anzeichen die dem Suizidversuch vorausgingen, wie Hilfesysteme in Anspruch genommen werden bzw. welche Hinderungsgründe bestehen und welche Strategien oder Personen in der Krise hilfreich waren. Ziel ist es ein E-Learning-Tool für Männer mit Suizidrisiko zu entwickeln.

Im Anschluss stellte Gunter Neubauer Erfahrungen aus dem Projekt „Familien stärken durch männerbezogene Suizidprävention“ (2020 bis 2021) aus Baden-Württemberg vor. Ziel war es, mit verschiedenen Kooperationspartnern Angebote der Suizidprävention und Beratung weiterzuentwickeln, so dass Männer besser als bisher erreicht werden. Dazu wurden neben Literatur- und Praxisrecherche, Experteninterviews und Fokusgesprächen auch Aktionen in regionalen Praxiszusammenhängen durchgeführt (Arbeitskreis Leben Reutlingen / Tübingen, Netzwerk Männerberatung Stuttgart, Landkreis Göppingen, Landesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit B-W) sowie Publikums- und Fachveranstaltungen veranstaltet und eine Projektbroschüre erstellt. Diese enthält neben einer ausführlichen Dokumentation auch die im Projekt erarbeiteten Empfehlungen für gelingende männerbezogene Suizidprävention.

Es folgte die Vorstellung des Projekts „MARS: Männerschuppen als Orte der Gesundheitsförderung und Prävention im kommunalen Setting für Männer ab 50 Jahren“ von Lennart Semmler, Fachreferent von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen. Männerschuppen sind nach Definition der Australien Men‘s Sheds Association, den Begründern dieser Idee, „jede gemeindebasierte, gemeinnützige, nicht-kommerzielle Organisation, die für alle Männer zugänglich ist und deren Hauptaufgabe darin besteht, ein sicheres und freundliches Umfeld zu schaffen, in dem Männer in ihrem eigenen Tempo, in ihrer eigenen Zeit und in der Gesellschaft anderer Männer an Projekten arbeiten können.“ In einem Teilprojekt wurde zunächst die Evidenz für die Effektivität der Wirkung gemeindebasierter Männerschuppen auf den subjektiven Gesundheitszustand, das subjektive Wohlbefinden und die soziale Isolation von älteren Männern anhand einer systematischen Literaturrecherche überprüft. Außerdem sollten Merkmale erfolgreicher und nachhaltiger Männerschuppen identifiziert werden. Dazu zählen geeigneten Räumlichkeiten, ausreichende finanzielle Mittel sowie eine von den Teilnehmern gesteuerte Verwaltung und Organisation. Zum Abschluss wurden der Status Quo und die Perspektiven des MARS-Projektes berichtet, in dessen Laufzeit (04/2022 bis 03/2025) acht Männerschuppen in Bremen und Umgebung entstehen sollen.

Der Nachmittag startete mit Ergebnissen des Projekts „Gesund leben – gesund bleiben“, die von Kolja Lange, Koordinator für Gesundheitsförderung der Region Hannover vorgestellt wurden. Im Rahmen des Projekts wurden Bewohnerinnen und Bewohner im mittleren Lebensalter (35 bis 55 Jahre) von zwei sozial schwächeren Stadtteilen Hannovers für gesundheitsförderliches Verhalten sensibilisiert und angeregt. Die Stadtteile sollten durch den Aufbau entsprechender Strukturen und Vernetzungen gesundheitsförderlicher gestaltet werden, wobei an bestehende Gesundheitsprojekte / Strukturen in den Stadtteilen angeknüpft werden konnte. Zudem sollten die Gesundheitskompetenz gestärkt und geschlechterspezifische Zugangswege erschlossen werden. Dazu wurden Interviews mit Schlüsselpersonen aus den Stadtteilen geführt, um zu erfahren, welche Angebote bereits bekannt sind und auch genutzt werden, aber auch welche Angebote gewünscht werden (Bestands- und Bedarfsanalyse). Dabei zeigte sich, dass bestehende Angebote häufig nicht bekannt oder genutzt werden. Hinsichtlich der Bedürfnisse zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede. Männer hatten ein sehr hohes Interesse an Bewegungsthemen, sowie ein hohes Interesse an Ernährungsthemen und ein eher geringes Interesse an Angeboten zur psychischen Gesundheit. Als gewünschte Angebotssettings wurden von Männern Angebote vor Ort, Aktionstage, Kurse, Schnupperangebote und Hybridangebote genannt. Die Angebote sollten zu Hause oder draußen nutzbar sein und vor allem werktags in den Abendstunden oder an den Wochenenden vor- oder nachmittags angeboten werden. Als eine Maßnahme wurde daraufhin eine digitale Stadtteilkarte erstellt, die dabei helfen soll, Angebote für Erwachsene aus den Bereichen Gesundheit, Beratung, Kultur und Treffpunkte im Stadtteil zu finden. Die Kursanbietenden wurden ermutigt, den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner zu begegnen und diese z.B. niederschwellig vor Ort anzubieten oder Themen zu kombinieren und gängige Kursformate aufzubrechen. Momentan noch in der Umsetzung ist die Einrichtung von sogenannten Gesundheitsstationen, die zeitlich flexibel zur Bewegung und Entspannung genutzt werden können, außerdem die Erstellung eines Handlungsleitfadens für Projekte kommunaler Gesundheitsförderung.

In einer folgenden Blitzlicht-Runde wurden von Gunter Neubauer kommunale Zugänge der Gesundheitsförderung vorgestellt, von Eberhard Siegl, Sekretär des Dachverbands für Männer-, Burschen-, und Väterarbeit in Österreich (DMÖ) das internationale Erasmus+ Projekt „Männergesundheit im Internet“ und von Lennart Semmler über männersensible Angebote des Betrieblichen Gesundheitsmanagements berichtet.

Für eine Berliner Runde konnten am Nachmittag Arn Sauer von der Bundesstiftung Gleichstellung, Stefan Bräunling vom Kooperationsverbund gesundheitliche Chancengleichheit und Dag Schölper vom Bundesforum Männer, unserem Dachverband, in der Runde begrüßt werden. In den Gesprächen mit ihnen ging es um Männerperspektiven in den jeweiligen Arbeitszusammenhängen, Bezüge zur Jungen- und Männergesundheit sowie Möglichkeiten zur Kooperation.

Die verbleibende Zeit wurde dann für Absprachen und die Planung der Weiterarbeit im Netzwerk genützt. Dabei wurden u.a. folgende Schwerpunkte vereinbart:

  • das Männergesundheitsmanifest 2021 zur Notwendigkeit einer Männergesundheitsstrategie mit einem Fokus auf Depression und Suizidprävention schärfen und weitertreiben
  • ein Factsheet zur Lebenserwartungsdifferenz erstellen (im Kontext der Kampagne zum Tag der ungleichen Lebenserwartung)
  • die Männergesundheitswoche 12. – 18. Juni 2023 nutzen, um Informationen über gute Praxis der Männergesundheitsförderung aufzubereiten und in den Kooperationsverbund gesundheitliche Chancengleichheit einzuspeisen

Außerdem beschloss das Netzwerk, künftig den Aktionstag World Wide Day of Genital Autonomy (Weltweiter Tag der Genitalen Selbstbestimmung – WWDOGA) zu unterstützen. Die Vernetzung von Kommunen mit dezidierten Aktivitäten im Bereich der Männergesundheit, etwa der Entwicklung kommunaler Männergesundheitsstrategien und -konzeptionen, soll bei Gelegenheit wieder aufgenommen und fortgeführt werden.

Das nächste Netzwerktreffen im Frühjahr 2024 soll in Hannover stattfinden. Es wird von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen ausgerichtet.

Anne Starker wird neben Stefan Beier, Gunter Neubauer und Matthias Stiehler die Koordination des Netzwerks unterstützen.

Es ist erfreulich, dass mit diesen Vereinbarungen die Weiterarbeit des Netzwerks in der nächsten Zeit auf eine gute Grundlage gestellt werden konnte. Allen Beteiligten und dem Vorbereitungsteam ein ganz herzlicher Dank!

Mit einem Spaziergang durch den Schlossgarten Charlottenburg und einer biopsychoszialen Stärkung in Altberliner Wirtshausatmosphäre klang das Netzwerktreffen aus.

Interessierte finden die Dokumentation ausgewählter Beiträge auf der Website der LVG & AFS Niedersachsen.

Anne Starker, Lennart Semmler

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